Nach vielen Jahren der Vorbereitung hat die Internationale Organisation für Normung (ISO) im Juli 2020 die ISO 14155:2020 (3. Version) veröffentlicht, die die seit 2011 geltende zweite Version ersetzt. Analog zur Leitlinie E6 (R2) der Internationalen Konferenz zur Harmonisierung (ICH) zur Guten Klinischen Praxis (GCP) regelt ISO 14155 die Planung, Durchführung, Dokumentation und Berichterstattung von klinischen Prüfungen am Menschen, um die klinische Leistung und Sicherheit von Medizinprodukten zu beurteilen. In Übereinstimmung mit der Deklaration von Helsinki (DoH) ist der oberste Zweck der ISO 14155 der Schutz der Rechte, der Sicherheit und des Wohls der Prüfungsteilnehmer in der klinischen Forschung.
Die wichtigsten Änderungen im Vergleich zur vorherigen Version sind:
- Einbeziehung eines zusammenfassenden Abschnitts der GCP-Grundsätze (angelehnt an ICH E6),
- Verweis auf die Registrierung klinischer Prüfungen in einer öffentlich zugänglichen Datenbank (angelehnt an die DoH),
- Einbeziehung eines klinischen Qualitätsmanagements,
- Einbeziehung einer risikobasierten Überwachung
- Einbeziehung statistischer Erwägungen in Anhang A (klinischer Prüfplan, Clinical Investigation Plan, CIP);
- Einbeziehung von Leitlinien für Ethikkommissionen (EKs) in Anhang G (Verantwortlichkeiten der EKs),
- Verstärktes Risikomanagement während des gesamten Prozesses einer klinischen Prüfung, einschließlich Anhang H (Anwendung von ISO 14971 auf klinische Prüfungen und Zusammenspiel von ISO 14971 und ISO 14155),
- Präzisierung der Anwendbarkeit der Anforderungen auf verschiedene Stadien der klinischen Entwicklung in Anhang I,
- Einbeziehung von Leitlinien für Audits klinischer Prüfungen in Anhang J.
Die in ISO 14155 zusammengefassten GCP-Grundsätze sind wie folgt an die DoH und ICH E6 angelehnt:
a) Klinische Prüfungen müssen in Übereinstimmung mit den ethischen Grundsätzen durchgeführt werden, die ihren Ursprung in der DoH haben und die mit diesem Dokument vereinbar sind.
b) Vor Beginn einer klinischen Prüfung sind vorhersehbare Risiken und Unannehmlichkeiten gegen den zu erwartenden Nutzen für den einzelnen Prüfungsteilnehmer und die Gesellschaft abzuwägen. Eine klinische Prüfung darf nur begonnen und fortgesetzt werden, wenn die zu erwartenden Vorteile die Risiken rechtfertigen.
c) Die Rechte, die Sicherheit und das Wohl der Prüfungsteilnehmer sind die vorrangigen Gesichtspunkte und haben Priorität vor den Interessen von Wissenschaft und Gesellschaft.
d) Die vorliegenden präklinischen und klinischen Informationen zum Prüfprodukt müssen die vorgeschlagene klinische Prüfung hinreichend stützen.
e) Klinische Prüfungen müssen wissenschaftlich fundiert sein und in einem klar formulierten, detaillierten Prüfplan beschrieben werden.
f) Eine klinische Prüfung muss in Übereinstimmung mit dem Prüfplan durchgeführt werden, der zuvor von der EK genehmigt/zustimmend bewertet und ggf. von den Aufsichtsbehörden genehmigt/nicht beanstandet wurde.
g) Die medizinische Versorgung der Prüfungsteilnehmer und die in ihrem Namen getroffenen medizinischen Entscheidungen müssen immer von einem qualifizierten Angehörigen eines Gesundheitsberufs verantwortet werden.
h) Jede an der Planung, Durchführung, Dokumentation und Berichterstattung einer klinischen Prüfung beteilige Person muss durch Aus- und Weiterbildung und berufliche Erfahrung für die Ausführung ihrer jeweiligen Aufgabe(n) qualifiziert sein.
i) Vor der Teilnahme an der klinischen Prüfung ist von jedem Prüfungsteilnehmer eine freiwillig erteilte Einwilligungserklärung nach vorheriger Aufklärung einzuholen.
j) Alle Daten im Zusammenhang mit klinischen Prüfungen sind so aufzuzeichnen, zu behandeln und sicher aufzubewahren, dass eine korrekte Berichterstattung, Interpretation, Überwachung, Auditierung und Überprüfung möglich sind.
k) Die Vertraulichkeit von Aufzeichnungen, anhand derer die Identifizierung von Prüfungsteilnehmern möglich wäre, soll gewahrt bleiben; dabei sind die Vorschriften über Privatsphäre und Vertraulichkeit einzuhalten.
l) Die Gestaltung, Herstellung, Handhabung und Lagerung der Prüfpräparate soll in Übereinstimmung mit den wesentlichen Grundsätzen erfolgen. Sie sind in Übereinstimmung mit dem genehmigten Prüfplan (CIP), der Prüferinformation (Investigators‘ Brochure, IB) und der Gebrauchsanweisung des Herstellers (IFU) anzuwenden.
m) Es sind Systeme mit Verfahren einzuführen, die die Qualität jedes Aspekts der klinischen Prüfung sicherstellen.
Die Einbeziehung eines klinischen Qualitätsmanagements ist eine neue Anforderung, die zur Anwendung von Qualitätsmanagement-Grundsätzen im Einklang mit ISO 13485:2016 verpflichtet, um sicherzustellen, dass die klinische Prüfung gemäß ISO 14155, dem Prüfplan und allen anderen geltenden Normen und in Übereinstimmung mit den regulatorischen Anforderungen konzipiert, durchgeführt und überwacht wird, und die Daten dementsprechend erzeugt, dokumentiert, aufgezeichnet, ausgewertet und berichtet werden. Der Sponsor muss die Durchführung dieser klinischen Qualitätsverfahren schriftlich dokumentieren.
Ein weiterer neuer Aspekt der ISO 14155 ist ein risikobasierter Ansatz zur Überwachung der Prüfung. Die Ergebnisse der Risikobewertung des Produkts sind zur Entwicklung eines risikobasierten Überwachungsplans zu verwenden, bei dem Umfang und Art der Überwachung auf Zielsetzung, Konzeption, Komplexität, Größe, kritischen Datenpunkten und Endpunkten der klinischen Prüfung sowie dem Grad der Abweichung von der normalen klinischen Praxis beruhen sollen. Insbesondere muss der Sponsor sicherstellen, dass unvorhergesehene unerwünschte Wirkungen des Produkts rasch ermittelt und untersucht werden, so dass erforderlichenfalls zusätzliche Maßnahmen zur Risikokontrolle ergriffen werden können.
Die Anwendung der ISO 14971:2019 auf klinische Prüfungen wird in Anhang H der ISO 14155 ausführlich beschrieben. Der mit einer klinischen Prüfung verbundene Risikomanagementprozess ermöglicht es, die mit dem Prüfprodukt verbundenen Gefahren und gefährlichen Situationen zu identifizieren. Die damit verbundenen Risiken werden identifiziert und geschätzt (Risikoanalyse) und bewertet (Nutzen-Risiko-Analyse), und die Risiken werden gegebenenfalls auf ein vertretbares Maß reduziert (Risikokontrolle). Die Wirksamkeit der Risikokontrolle wird während des gesamten Lebenszyklus des Produkts bewertet, auch während der klinischen Prüfungen. Sobald die Risiken nicht mehr vertretbar sind, sollte jede klinische Prüfung abgebrochen werden. Informationen über vertretbare, zu erwartende Risiken sollen in den CIP-, IB-, IFU- und Einverständniserklärungsformularen enthalten sein. Die Risiken sind während der gesamten klinischen Prüfung anhand von Schwellenwerten für die Vertretbarkeit des Risikos zu überwachen. Falls ein unvorhergesehenes Sicherheitsproblem festgestellt wird, sollte eine gründliche Risikobewertung durchgeführt werden, um die Vertretbarkeit des Risikos zu bestimmen.
Anhang I der ISO 14155 gibt einen allgemeinen Hinweis auf die möglichen Arten klinischer Prüfungen in verschiedenen Stadien der klinischen Entwicklung (Pilot-, zulassungsrelevante oder Post-Market-Phase) in Bezug auf den regulatorischen Status (Pre-Market- oder Post-Market-Phase), einschließlich: exploratorischer, bestätigender oder beobachtender Studien (Register- oder Post-Market-Folgestudien), interventioneller oder nicht-interventioneller Studien. Dieser Überblick ist hilfreich angesichts der erwarteten Zunahme klinischer Prüfungen, die durch die Medizinprodukteverordnung 2017/745 herbeigeführt wird.
Insgesamt unterstreicht die neue ISO 14155 die Bedeutung des Risikomanagements in allen Phasen der Produktentwicklung, einschließlich der klinischen Prüfungen, und das vorteilhafte Zusammenspiel mit anderen ISO-Leitlinien (d.h. ISO 13485 und ISO 14971). Die Einhaltung von ISO 14155:2020 ist wichtig für die Berücksichtigung ethischer Aspekte in der klinischen Forschung und die Achtung der Menschenrechte. Darüber hinaus trägt sie zur Generierung qualitativ hochwertiger klinischer Daten, zur Einhaltung der Vorschriften und zur Akzeptanz der Durchführung und der Ergebnisse der Prüfungen über Länder hinweg bei. Gemäß der neuen europäischen Verordnung MDR 2017/745 sollten klinische Prüfungen unter Einhaltung internationaler Richtlinien wie ISO 14155 für gute klinische Praxis und der DoH durchgeführt werden.
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